Von Daniel J. Friedman (Twitter @ddfriedman) und Karim M. Khan
(Teil 2 von3)
Die Medikalisierung des täglichen Lebens lässt sich auch als ein Feilbieten von Krankheiten beschreiben, also das Erweitern der Grenzen behandelbarer Krankheiten, um Märkte für den Vertrieb von Medikamenten und das Anpreisen medizinischer Verfahren und Dienstleistungen neu zu erschliessen. Das Sponsern von Krankheitsdefinitionen durch die Pharmaindustrie (wie z.B. Allergan und trockene Augen18, GSK und Sodbrennen, GSK und Restless Legs Syndrom) und die damit verbundene Werbung gegenüber Verschreibenen Ärzten und Patienten bezeichnete einer der Redner als gewerbliche Entwicklung von Krankheiten17 (Abb.5). Durch das Aufbauschen sämtlicher Aspekte einer gewöhnlichen Krankheit, indem Symptome von leicht auf ernsthaft hinaufgestuft und Risiken als Krankheit verkauft werden, kann das Feilbieten von Krankheit in der Bevölkerung zunehmend Ängste schüren und Menschen die wohlauf sind dauerhaft mit einem Gefühl von schlechter Gesundheit infizieren.
Erweiterte Krankheitsdefinitionen und herabgesetzte Diagnoseschwellen führen dazu, dass es bald jedem möglich ist krank zu sein und medikamentöse Interventionen zu benötigen. Wenn die aktuellen Anpassungen von Richtlinien, die jüngsten bei den Konferenzen hervorgehoben wurden, als Hinweis betrachtet werden können, dann wird es nicht mehr lange dauern bis der Prähypertonie oder dem Prädiabetes weitere Vorstufen vorangestellt werden in Form von Prä-Prähypertonie und Prä-Prädiabetes. Dann wird jeder von uns einer Kategorie des Schweregrads der Erkrankung zugeordnet. Folgt man den Richtlinien für Bluthochdruck des American College of Cardiology und der American Heart Association19, dann wird bald jeder zweite Amerikaner als Bluthochdruckpatient eingestuft. Allumfassende diagnostische Kriterien machen es möglich, gesunde Menschen dauerhaft als krank zu klassifizieren, wodurch die Behandlung besorgter Gesunder und die übermässige Inanspruchnahme begrenzter medizinischer Ressourcen gefördert wird.
- Wenn Du nicht krank bist, bist Du einfach nicht gründlich genug untersucht worden
Dank rapider technischer Fortschritte sind wir zunehmend in der Lage, Krebserkrankungen und anatomische Abweichungen, sowie Risikofaktoren für Krankheiten wie Hypertonie oder erhöhte Cholesterinwerte aufzuspüren. Screeining hilft uns, Anomalien geringen Risikos Früher zu diagnostizieren, lang bevor sie Symptome verursachen oder behandelt werden müssen (wenn überhaupt). Während es sich bei der Überdiagnose von Brust-, Prostata- und Schilddrüsenkrebs um gängige Beispiele handelt, existieren für bildgebenden Verfahren des Bewegungsapparates ähnliche Bedenken (Abb. 6).
Bildgebung von asymptomatischen Knien, Schultern und Wirbelsäulen ohne Hinweise auf schwerwiegende zugrunde liegende Pathologien kann zu kostspieligen Zufallsbefunden, sogenannten “Inzidentalomen” (eine neue Wortschöpfung aus den Begriffen ‘inzidentell’ [harmlos] und dem allgemeinen gewebspathologischen Suffix ‘-om’), führen. Und auch wenn ein paar dieser Zufallsbefunde von Nutzen sein mögen, so rufen doch viele dieser Ergebnisse unnötig Angst hervor und führen zu einer Reihe klinischer Folgeuntersuchungen (Abb. 7). So lässt sich beispielsweise die vermehrte Prävalenz von femoroazetabulärem Impingement (FAI) und der darauffolgendern operativen “Korrektur” auf die höhere Auflösung einer Magnetresonanz Tomographie im Vergleich mit einfachen Röntgenaufnahmen zurückführen, wodurch bereits bei jungen, schmerzfreien Athleten FAI-typische Veränderungen diagnostiziert werden können20. Je mehr wir untersuchen, desto mehr werden wir finden.
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Danksagungen:
Die Autoren bedanken sich bei Dr. Ray Moynihan für seine Kommentare zum Manuskriptentwurf.
Der englischsprachige Originaltext ist zu finden unter
https://bjsm.bmj.com/content/53/20/1314
Übersetzt aus dem Englischen von:
Isabel Schneider
M.A. Englisch als Fremdsprache
MA Sportwissenschaft
Dozent an der DHGS Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport GmbH
Isabel.Schneider@dhgs-hochschule.de
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Literatur
17 Moynihan R, Heath I, Henry D. Selling sickness: the pharmaceutical industry and disease mongering. BMJ : British Medical Journal. 2002;324(7342):886-91.
18 Schwartz LM, Woloshin S. A clear-eyed view of restasis and chronic dry eye disease. JAMA Internal Medicine. 2018;178(2):181-2.
19 Whelton PK, Carey RM, Aronow WS et al. 2017 ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA Guideline for the Prevention, Detection, Evaluation, and Management of High Blood Pressure in Adults. A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. 2018;71(19):e127-e248.
20 Yépez AK, Abreu M, Germani B et al. Prevalence of femoroacetabular impingement morphology in asymptomatic youth soccer players: magnetic resonance imaging study with clinical correlation. Revista Brasileira de Ortopedia (English Edition). 2017;52:14-20.