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Übersetzt aus dem Englischen von: Isabel Schneider @isi69schneider
Link zum Originaltext https://bjsm.bmj.com/content/early/2018/07/17/bjsports-2018-099198
Jeremy Lewis, Peter O’Sullivan
Die derzeitige Herangehensweise ist nicht zielführend
Die Mehrheit anhaltender, nicht-traumatischer Schmerzzustände des Bewegungsapparats lassen sich nicht auf eine pathoanatomische Diagnose zurückführen, die in der Lage wäre, individuelle Schmerzen und Einschränkungen ausreichend zu erklären. Wir behaupten, dass dies zu zweierlei bedenklichen Konsequenzen im Umgang mit denjenigen geführt hat, die unter einer solchen Erkrankung leiden.
Zum Einenhandelt es sich um strukturelle Veränderungen, festgestellt durch bildgebende Verfahren, wie z. B. Risse in der Rotatorenmanschette, Bandscheibendegeneration, Einrisse im Labrum und Veränderungen der Gelenkknorpel. Diese sind auch bei schmerzfreien Personen weit verbreitet, werden jedoch bei Schmerzpatienten für deren Probleme verantwortlich gemacht. In diesem Zusammenhang kann so eine Auskunft jedoch dazu führen, dass der Betroffene das Gefühl hat, sein Körper sei physisch beeinträchtigt, fragil und schutzbedürftig, was letztlich zu einer Kettenreaktion aus Bewegungsvermeidung und Schonhaltung führt, sowie der Suche nach Maßnahmen, solche strukturellen Defizite zu beheben1. Diese Entwicklung hat zu einer Explosion der Anzahl freiwilliger Operationen und der damit einhergehenden Kosten geführt, wobei die Wirksamkeit reparativer (Meniskusschäden oder Risse der Rotatorenmanschette), korrektiver (subakromiale Dekompression) oder ersetzender (Bandscheiben der Lendenwirbelsäule) Eingriffe an den geschädigten Strukturen inzwischen hochgradig in Frage gestellt wird2-10.
Zum Zweitenspricht Einiges dafür, dass Ärzte, die sich auf die Behandlung des Bewegungsapparates spezialisiert haben, Behandlungen kreiert haben für Erkrankungen die es wahrscheinlich nicht gibt, oder Zustände, die nicht nachgewiesen werden können. Dazu gehören u.A. Triggerpunkte oder Verschiebungen im Bereich des Sakrums. Zudem propagieren diese Ärzte von ihnen kreierte Behandlungsmethoden (wie z.B. die “Korrektur” muskulärer Dysbalancen oder der Haltung des Oberkörpers) die in keinster Weise dem aktuellen Forschungsstand entsprechen11-14. Diese beiden Trends führen zu der Annahme dass solche (in der Regel “passiven”) Maßnahmen eine vorzugsweise schnelle “Heilung” herbeiführen und das mit minimalem Eigenaufwand. Auch wenn eine solche Erwartungshaltung einemAustausch mit Freunden und Familie entspringt, oder aus dem Internet oder von einer Werbekampagne stammt, so findet sie doch ihren eigentlichen Ursprung mit ziemlicher Sicherheit bei einer Fachkraft des Gesundheitswesens.
Was können wir aus dem Umgang mit anderen chronischen Erkrankungen lernen?
Die heutige Evidenz zeigt, dass eine Vielzahl an Schmerzzuständen des Bewegungsapparates mit langfristigen Einschränkungen einhergehen, die sich gegenüber aktuellen Behandlungsmethoden oft als resistent erweisen. Beeinflusst werden sie von multiplen interagierenden Faktoren, darunter genetische Voraussetzungen, psychologische, soziale und biophysikalische Einflüsse, Begleiterkrankungen und Lebenswandel15.
Sobald solche körperlichen Beschwerden durch ihr Fortbestehen zu zunehmenden Einschränkungen führen, sollten sie unserer Meinung nach genauso betrachtet werden wie andere chronische Erkrankungen. Wenn zum Beispiel bei einer Person ein nicht insulinpflichtiger Diabetes auftritt, würde nach dem “best-Practise” Standard zunächst ein Gespräch mit anschliessender Untersuchung und Diagnosefindung stattfinden, ausserdem würden die relevanten biopsychosozialen Faktoren herausgearbeitet, die mit zu der Erkrankung beitragen. Basierend auf dieser Vorgehensweise, auf Aufklärung, Beratung und gemeinsamer Entscheidungsfindung, könnte sich nun eine Herangehensweise finden lassen bei der Empathie und Unterstützung eine wichtige Rolle spielen und die von beiden Seiten gleichermassen mitgetragen wird. Typischerweise würde ein solcher Plan die Bedeutung einer hohen Schlafqualität hervorheben, dazu die Rolle von Ernährung und Essverhalten sowie Stressmanagement. Ausserdem, falls zutreffend, die Empfehlung das Rauchen einzustellen oder zumindest zu reduzieren. Die umfassenden Vorzüge der Teilnahme an einem angemessen aufgebauten Bewegungsprogramm müssten hervorgehoben und zusätzlich, wenn nötig, eine Medikamentierung mit Metformin verschrieben werden.
Auch der Umgang mit Begleiterkrankungen darf nicht ausser Acht gelassen werden. Während sich im Bedarfsfall verschriebene Medikamente je nach Befund unterscheiden, würde der Umgang mit anderen chronischen Erkrankungen wie Asthma oder Bluthochdruck einem ähnlichen Schema folgen. In all diesen Fällen liegt der Fokus nicht darin, eine “Heilung” anzustreben, vielmehr geht es darum einen “Managementplan” zur Verfügung zu stellen, mit dessen Hilfe die Erkrankung kontrolliert und die verursachten Einschränkungen auf das Wohlbefinden des Patienten auf ein Minimum beschränkt werden können. Während sich also Anzeichen und Symptome einer Vielzahl chronischer Probleme soweit reduzieren lassen, dass sie nicht mehr als störend empfunden werden, ist ein fortwährendes Selbtmanagement dennoch unerlässlich.
Wir brauchen eine neue Herangehensweise
Unserer Meinung nach ist es notwendig, die Handhabung nicht-traumatischer und anhaltender Schmerzzustände, die die Lebensqualität einschränken, zu überdenken. Dies geschieht am besten dadurch, dass Prinzipien Anwendung finden, auf die sich der Umgang mit anderen chronischen Erkrankungen stützt: eine gute Zusammenarbeit aller Beteiligten, Edukation, körperliche Aktivität und Lebensstil (Schlafhygiene, Raucherentwöhnung, Stressmanagement, etc.). Dies soll schließlich dazu dienen, die Selbstwirksamkeit Betroffener zu stärken, die Kontrolle zu übernehmen und letztlich die Verantwortung für die eigene Gesundheit selbst in der Hand zu haben.
Obwohl die Argumente für eine solche Herangehensweise zwingend sind16und sich eine zunehmende Evidenz für eine Reihe von Erkrankungen des Bewegungsapparates abzeichnet, müssen wir uns dennoch bewusst sein, dass dies nicht auf alle Muskuloskelettalen Störungen zutrifft und daher eine allgemeine Gültigkeit noch nicht gegeben ist. Daher würde ein solches Vorgehen durch weitere, zunehmende Nachweise gestützt, die sich aus vorhandenen Forschungsergebnissen im Bezug auf die zu behandelnde Erkrankung herleiten. Mit Hilfe einer solchen Ausrichtung würde Patienten nicht länger das Vorhandensein einer “magischen” Manipulation oder einer anderen passiven Technik zur “Heilung” ihres Zustands vorgegaukelt. Dies wiederum würde das Erleiden von Stress und Burnout bei vielen behandelnden Medizinern reduziern, die sich nicht in der Lage sehen, solche unbegründeten Erwartungen erfüllen zu können. Maßnahmen wie manuelle Therapie, Medikamentierung und Spritzen sollten bei einer möglichen Anwendung als Ergänzung betrachtet werden, wobei die entsprechenden Vorteile und Risiken berücksichtigt und ehrlich kommuniziert werden müssen.
Hindernisse und Chancen dieser Herangehensweise
Wir müssen Praktiken die derzeit im Umgang mit nicht-traumatischen muskuloskelettalen Beschwerden möglich und machbar sind, neu ausrichten. Dies erfordert einen ehrlichen und offenen Austausch, in dem belegte Ergebnisse für die Behandlung solcher Erkrankungen einfühlsam kommuniziert werden. Es ist davon auzugehen dass eine Vielzahl an Hindernissen berücksichtigt und überwunden werden müssen, wenn man einen solchen Ansatz in Betracht zieht. In der Praxis können diese im Schmerzverständnis begründet sein, sowie in beruflicher Identität, Zeitdruck, finanzieller Belastung, und dem Fehlen einer angemessenen fachlichen Ausbildung. Auch Patientenansichten und -erwartungen können für behandelnde Mediziner eine erhebliche Herausforderung darstellen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine strukturbezogene Diagnose und eine vorgefertigte Problemlösung erwartet werden, um die Schmerzen schnellstmöglich wieder loszuwerden.
Wie bei anderen chronischen Erkrankungen ist es wichtig, in den Patienten ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass für viele persistierende und einschränkend wirkende Beschwerden des Bewegungsapparates kein magisches Heilmittel existiert und dass der Schlüssel langfristig nur in einem gut informierten, evidenzgestützten Selbstmanagement liegen kann. Um dies zu erreichen bedarf es gemeinsamer Anstrengungen einer Vielzahl an Institutionen, u.A. aus dem Bildungs- und Gesundheitswesen. Auchpolitische Organisationen, Berufsverbände, Zuwendungsgeber aus dem Gesundheitsbereich sowie die Medien müssen mit einbezogen werden.
Wir sind von der Notwendigkeit überzeugt dass eingefahrenen Meinungen neue Erkenntnisse gegenübergestellt werden müssen und wir im Falle möglicher Widersprüche diese neuen Erkenntnisse weiterentwickeln müssen. Wir behaupten, dass diejenigen unter uns die im muskuloskelettalen Bereich arbeiten, sich die Grenzen der gegenwärtigen chirurgischen oder konservativen Methoden zur Behandlung anhaltender Beschwerden des Bewegungsapparates eingestehen müssen. Dies erfordert auch eine Weiterqualifikation und Neuausrichtung unserer Vorgehensweise in der Praxis, unserer Sprache und unserer Erwartungen, um unser Handeln dem abgesicherten Umgang mit den meisten anderen chronischen Erkrankungen anzugleichen. Auf diese Art und Weise können wir Mitglieder unserer Gesellschft besser unterstützen wenn sie uns um Hilfe bitten. So können wir auch die angestrebten Ergebnisse, sowie das Maß und die Methode unserer möglichen Zuwendung ehrlich vertreten.
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Der englischsprachige Originaltext ist zu finden unter
https://bjsm.bmj.com/content/early/2018/07/17/bjsports-2018-099198
Übersetzt aus dem Englischen von:
Isabel Schneider @isi69schneider
M.A. Englisch als Fremdsprache
MA Sportwissenschaften
Dozent an der DHGS Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport GmbH
Isabel.Schneider@dhgs-hochschule.de
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